Japan 2001

Julian Hegemann

Also, als ich zum ersten mal meinen Freunden erzaehlt habe, daß ich fuer ein knappes Jahr nach Japan gehen werde, haben sie mich fuer komplett verrueckt
gehalten und mir die typischen Klischees aufgezaehlt: roher Fisch, Hoeflichkeit, Arbeitsamkeit, Uniformzwang, eine unheimliche Sprache, yakusa……… bis jetzt hat sich eigentlich fast jeder dieser Stereotypen, wenn auch oft auf eine andere Weise als erwartet, bewahrheitet.
Aber ich fange lieber mal von vorne an: nach mehr als 10 Stunden Flug muede, aber gluecklich endlich angekommen zu sein, wurden wir von zwei japanischen Afsern vormittags in Tokyo begruesst und gleich zu den Bussen in Richtung Orientation-camp gebracht. Wir blieben dort drei Tage lang und hatten viel Gelegenheit uns mit den anderen Austauschschuelern zu unterhalten. Die japanischen Afs-betreuer gaben uns ausserdem letzte Tips zum Umgang mit der Gastfamilie, der japanischen Lebensart und viele andere Kleinigkeiten.
Nach dem Camp und letztem Verabschieden alter und neugewonnener Freunde wurden wir schliesslich von unseren Gastfamilien in Empfang genommen.
Meine Gastfamilie holte mich direkt von dort ab und wir fuhren nach Tokoname, vorbei an Hochhaeusern mit riesigen Leuchtreklamen, Bambuswaeldern und Reisfeldern.
Tokoname ist eine Kleinstadt mit circa 50000 Einwohnern und liegt 30 Kilometer im Sueden von nagoya auf der „chita-peninsula“, einer Halbinsel in der bucht von Nagoya. Das Haus meiner Gastfamilie, ein eher moderneres Einfamilien-fertighaus, liegt nur 200 Meter vom Meer entfernt. Das hoerte sich anfangs ganz vielversprechend an, aber der gesamte „Strand“ besteht nur aus einem kleinen
Fischereihafen, Fabriken und einer riesigen Baustelle, da momentan auf dem Wasser vor Tokoname der neue „chubu international airport“ errichtet wird. Doch jetzt will ich auf meine Familie kommen: mein Gastvater Yoshiteru arbeitet als Lehrer in einer Schule fuer geistig behinderte Kinder. Sein grosses Hobby ist Karpfenzucht und er verbringt viel Zeit hinter dem Haus an seinem Karpfenteich. Wie fast alle Japaner liebt er Baseball und ist grosser Fan der „chunichi dragons“, DER Mannschaft aus unserer Praefektur aichi-ken (eine Praefektur ist in etwa ein „Landkreis“). Meine Mutter Ritsuko arbeitet am Wochenende in der „Tokoname international association“, einer Organisation die Auslaendern in Japan beim zurechtkommen mit japanischer Kultur und Sprache hilft. In ihrer Freizeit geht sie oft ins Kino und arbeitet nebenbei als private Englischlehrerin.
Mein juengerer Gastbruder Shunji ist 11 und verbringt viel zeit nach der schule mit seinen Freunden vor dem Computer oder liest manga-comics.
Mein aelterer Gastbruder Lintaro(er ist vier Tage aelter als ich)sitzt die
meiste Zeit vor seinem Pc und programmiert oder schreibt Artikel fuer die Schulzeitung. Er geht auf die gleiche schule und konnte mir so von Anfang an beim hineinkommen in den japanischen Schulalltag(der oft recht eintoenig ist, wie ich spaeter feststellte)helfen. anfangs hatten wir jedoch 2 Wochen fruehlingsferien und ich hatte genug zeit mich an die vielen Kleinigkeiten zu gewoehnen, die fuer mich als Europäer doch noch sehr fremd waren. das fing bei dem essen von Algen und fischeiern an, ging ueber ganz alltaegliche dinge wie dem Badezimmer mit der engen, tiefen Wanne und der digitalen Badewannenbeheizung, welche singt und einem auf japanisch erklaert, daß das badewasser die gewuenschte Temperatur hat, bis schliesslich zu dem japanischen fernsehen, ueber das ich mich zu Anfang sehr wunderte.und dass high-tech Gegenstände, fuer die die Japaner ja in aller Welt bekannt sind, auch im Alltag selbstverstaendlich sind, ahnte ich schon,als ich das erste mal das Klo meiner Gastfamilie benutzte(es erinnerte mich mit all seinen knoepfen und laempchen eher an „space odysee“) richtig klar wurde mir das erst,als ich in der ersten Woche in meiner schule mit den japanischen Schülern in Kontakt kam und sie mich mit ihren mobiltelefonen fotografierten.
Mein erster schultag bestand teils aus aufregung,teils aus ueberraschung ueber die unruhe,die ich bei den Schülern verursachte,als ich das erste mal waehrend der pause durch den gang lief. meine schule besteht aus drei hauptgebaeuden, zwei Sporthallen, einem Schwimmbecken und einem großen allroundplatz, der sich bei regen in eine matschige schlammwueste verwandelt. wie mir mein Klassenlehrer stolz erzaehlte existiert die schule seit ueber 80 Jahren und gilt noch heute als die beste schule in der Umgebung, was sich allerdings nur auf die Leistungen der Schüler und nicht auf den zustand der Gebäude bezieht. die sind ziemlich heruntergekommen und grade waehrend der Regenzeit Anfang Juli sickert das Wasser oefters in die Klassenzimmer.
an einem normalen schultag stehe ich gegen 8 Uhr auf, fruehstuecke, meistens nur mit meiner Mutter und lintaro, da mein Vater frueher zur Arbeit muss. kurz darauf fahre ich mit dem Fahrrad zur schule ins zehn Kilometer
entfernte handa. um 8.50, am Anfang des schultages, muessen wir aufstehen und uns auf das Kommando des klassensprechers vor dem Klassenlehrer verbeugen. nach zehnminuetiger „homeroom-time“ in der mit dem Klassenlehrer organisatorische
dinge besprochen werden faengt um neun Uhr schliesslich der Unterricht an. Der Klassenlehrer hat einen sehr hohen rang im schulleben eines Japaners und wird von seinen Schülern sehr respektvoll behandelt. außer japanischer Literatur und altem japanisch besuche ich alle Fächer (englisch, Geschichte, mathe, Chemie…..). zudem habe ich dreimal die Woche japanischunterricht mit einem der englischlehrer. obwohl ich mit keinerlei sprachlicher vorkenntnis nach Japan gekommen bin und es mir anfangs unmoeglich schien diese Sprache zu bewaeltigen, ging es doch relativ schnell bis ich die „basics“ draufhatte. mir gefiel, dass ich die Wörter und Phrasen die ich lernte, aktiv im Alltag gebrauchen konnte und mit der zeit wurde das Gefühl das ich nach einer weile fuer das japanische entwickelte, mit der zeit immer staerker und sicherer wurde. eine Schulstunde dauert 50 Minuten, danach 10 Minuten pause zum umziehen nach dem sportunterricht oder wechseln des Klassenzimmers. der sportunterricht ist anders als in Deutschland, viel vielseitiger meiner Meinung nach: man kann sich zwischen einer menge Sportarten entscheiden die man dann fuer drei Monate ausuebt: Baseball, Leichtathletik, Tennis, Volleyball, schwimmen, kendo, judo….. da ich in den ersten Monaten in fächern wie Geschichte oder Philosophie so gut wie nichts verstand,las ich, lernte japanisch oder schlief.wie ich am Anfang zu meiner Überraschung feststellte ist schlafen waehrend des Unterrichts nichts besonderes in Japan, auch die Lehrer stoert es nicht(sogar unser mathe Lehrer kam einmal nicht zum unterricht,da er im lehrerzimmer eingeschlafen war) schuluniform sowie viele regeln sind pflicht.zum Beispiel ist es verboten mit strassenschuhen das Schulgebäude zu betreten,man muss die von der schule bereitgestellten slipper tragen. ohrringe,make-up und haarefaerben sind ebenfalls verboten(diese regeln werden aber am haeufigsten gebrochen).ein schultag endet in der Regel um 3.30 Uhr. wenn es einen Anlaß zur Ehrung eines Schülers fuer besondere Leistungen oder Sieg eines ausserschulischen Wettkampfes gibt,versammelt sich die ganze Schülerschaft(in reih und Glied) Montagmorgens auf dem Vorplatz der schule,hoeren der rede des Schuldirektors zu und beklatschen den oder diejenigen. das große aufsehen das ich dort anfangs als gaijin (jap.: Ausländer) erregte legte sich nach wenigen wochen,die Leute an meiner schule waren jedoch immer sehr freundlich und halfen mir wo sie nur konnten. viele Schüler nehmen nach der schule an einer von der schule angebotenen clubaktivitaet teil.das Angebot ist sehr breitgefaechert und reicht von Sportarten wie volleyball,reckturnen,baseball,badminton,tennis bis zu den traditionellen Sportarten judo,kendo oder kyuudo.auch das erlernen der teezeremonie oder des koto (jap. zupfinstrument) ist moeglich. ich besuchte zu anfangs den kendo-club.kendo ist die japanische Kunst des Schwertfechtens. das diese clubaktivitaet sehr zeitaufwendig war und ich kaum noch Gelegenheit fuer andere dinge hatte,wechselte ich den Club und besuche nun zweimal die Woche den judo-club. in meiner sonstigen Freizeit treffe ich mich mit meinen japanischen freunden und wir gehen gemeinsam zum karaoke,bowling oder in Kino. karaoke,bowling oder baseball-butting Center sind sehr beliebte Treffpunkte und in jeder Stadt zu finden.am Wochenende fahre ich ab und zu ins 30 Kilometer entfernte nagoya um mich mit anderen austauschschuelern zu treffen oder einfach nur durch die Läden zu bummeln. da es mittlerweile wieder ziemlich kalt gerworden ist gehe ich oft in eine der heissen quellen,dem „onsen“. dort habe ich auch das erste mal einen yakusa getroffen.er hatte die typischen altjapanischen Motive auf die Schulter taettowiert und fragte mich nach einer weile woher ich denn komme und wie mir Japan gefaellt.als er hoerte das ich aus Deutschland komme hellte sich sein Gesicht auf und er erzaehlte mir stolz das er auch schon in München war,von der beruehmten Autobahn und wie gut doch das deutsche Bier sei. als ich nach dem heimkommen die Story meinen gasteltern erzaehlte lachten sie und sagten nur abwinkend das yakusas in unserer Gegend keine Seltenheit sind und sie sich normalen Leuten gegenueber immer relativ freundlich verhalten. alles in allem hatte ich bis jetzt eine super zeit hier in der ich eine menge ueber das „Phänomen Japan“, welches sich in der Mentalität der Menschen sowie im alltagsleben wiederspiegelt,gelernt und erlebt habe.

julian

PS:da ich mittlerweile mein Sprachgefühl fuer deutsch schon verloren
habe, sorry fuer die rechtschreibfehler