Judith Wiedemann
27.6.2003. 16.05, Ankunft am Frankfurter Flughafen, Ende einer langen Reise, die fast ein Jahr gedauert hat.
Wir, die 15 Deutschen, die alle gemeinsam aus Norwegen wieder nach Hause flogen, wurden zwar, bis auf die, die noch weiterreisen mussten, herzlichst von Eltern, Geschwistern und Freunden empfangen, doch auch mein erster Blick schweifte suchend über die Anzeigetafel nach Abflüge von Frankfurt nach Oslo mit dem Gedanken „Ich will zurück…!!“. Denn schon nach den ersten Minuten des Landeanflugs und der entgültigen Ankunft musste ich mich wieder von kleinen süßen bunten Holzhäuser auf große Betonklötze, von Polizisten mit einem Schlagknüppel auf welche mit griffbereiten Maschinengewehren und von den gelassenen Norwegern auf hektischen Menschenmengen umstellen. Aber nicht du das Umfeld, sondern auch das Klima war eine Umstellung, denn von den rund 20 Grad, die wir die Tage vor der Abreise durchschnittlich hatten hoch auf ca. 35, war mir an solch einem langen und anstrengenden Tag, der morgens um 4 auf dem Osloer Flughafen begann, doch irgendwie zuviel…
Jetzt, einige Wochen nach meiner Rückkehr, kommt mir doch ab und zu Vieles wie ein langer, häufig sogar unrealistischer Traum vor, der aber auch manchmal fast wieder wie zur Gegenwart wird bis man wieder die Stimmen von der norwegischen Familie und den Freunden im Ohr hat, und ich dann doch auch schon mal wieder noch ab und zu auf Norwegisch antworte, wenn mich in so einem Moment jemand in meinen Gedanken unterbricht. Besonders freue ich mich, wenn ich an einem Morgen aufwache und dann feststelle, dass ich immer noch das eine oder andere Wort im Traum auf der anderen Sprache gesagt habe.
Am meisten von Allem, vermisse ich wohl das Land selber. Die Natur ist einfach atemberaubend und umwerfend, ganz egal wo man sich befindet. Meine Ortschaft, Hommersaak, lag direkt an der Westküste Norwegens und hatte ca. 6000 Einwohner. Nach einem ca. 15min Fußmarsch war ich direkt an einem Fjord mit Blick auf die 5. größte Stadt Norwegens, Stavanger. Dort saß ich dann abends öfters mit einer Freundin aus der Türkei und habe den Sonnenuntergang beobachtet. Nach einer halben Stunde Zugfahrt war ich direkt an einem der duzenden menschenleeren Strände, die aufs offene Meer hinausführen und aus superfeinem Sand waren dass man denken konnte man würde sich irgendwo in der Karibik befinden. Aber ich hatte nicht nur einen Blick aufs Meer vom Küchenfenster aus, sondern auch noch die Berge in geringer Nähe, wohin wir ab und zu Samstags oder Sonntags einen kleinen Familienausflug machten. Denn Norweger sind sehr naturverbunden und lieben es einfach so mal einen kleinen Ausflug in die Natur zu machen-ganz egal bei welchem Wetter! Denn „Ut i natur, aldri sur!“ („draußen in der Natur, niemals böse!“)
Meine größten naturellen Highlights waren wohl das Polarlicht, das mit seinen grünen Farben an einem kalten Februarabend stundenlang am Himmel tanzte und die Wanderung auf den „Preikestolen“ der ca. 600m über einem Fjord in die Höhe ragt und an dessen Kante sich wagemutige heranwagen und die Beine runterbaumeln lassen. Das einzige wo ich wohl ehrlich gesagt etwas enttäuscht war, war der Winter. Denn dadurch dass wir genau an der Küste lagen, d. h. direkt am Golfstrom, ließ der Schnee oft auf sich warten. Ich bin zwar einige Male, wenn auch nicht sehr häufig mit meiner Gastschwester auf Langlaufskiern unterwegs gewesen, was wohl am Anfang wohl mehr schlecht als recht vor sich ging, was aber eher immer lustig war! Ich hätte mir aber doch ab und zu etwas mehr Kälte und Schnee erwünscht, denn leider verwandelte der sich oft sehr schnell in patschiges graues Irgendwas. Aber gerade im Jahr 2002/03 ließ der Niederschlag sowieso oft zu wünschen übrig, die Speicher, die das Wasser auffangen sollen um danach Strom zu produzieren waren fast leer und auch die Norweger, die sonst so leichtsinnig mit Strom umgehen und auch nachts im ganzen Haus das Licht brennen lassen, musste lernen, damit etwas sparsamer umzugehen.
Jetzt hinterher bereue ich so sehr nicht noch öfters einfach so unterwegs gewesen zu sein um die Landschaft zu sehen. Aber genau dies beschreibt ein Gefühl, das ich besonders am Ende oft bekam „Du, wir müssen noch dies und jenes machen! Oh nein, aber wann?!“. Denn besonders in den letzten Wochen und Tagen verging die Zeit wie im Flug! Wobei ich mich noch an meine ersten Befürchtungen von vor rund 2 Jahren erinnern kann, dass ein Jahr doch wahnsinnig lange sei. Doch auch eben im zweiten Halbjahr wurde ich mir in vielen Dingen um einiges Sichere, ich begann die Sprachen (relativ) fließend zu sprechen, meine Gastfamilie besser kennen zu lernen und überhaupt mit der norwegischen Mentalität noch besser klar zu kommen, denn Norweger stehen nicht immer so offen fremden gegenüber, wie ich es mir gewünscht hätte. Aber „harte Schale, weicher Kern“! Und das traf auch vollkommen mit meinen Ehrfahrungen überein. Denn wie ich merkte, wenn man Freunde gefunden hatte, sind es Freunde fürs Leben! Aber was mich sehr oft beeindruckt hat, und ich auch hier in Deutschland vermisse, sind der Respekt und die Höflichkeit im Zusammenleben mit anderen. So wird sich bei den Norwegern fast für alles bedankt, wie z. Bsp. „takk for maten“ (danke fürs Essen), „takk for i kveld“ (danke für heute Abend) oder „takk for sist“ (danke fürs letzte Mal).
Ganz besonders traumhaft war natürliche auch die norwegische Weihnacht! Diese Stimmung war schon weit vorher überall zu merken und Heiligabend wurde dann erst mal traditionell mit dem „Milchreisessen“ begonnen. Und, war es Zufall oder Glück? Fand ich dann auch noch die Mandel in meinem Teller und bekam ein kleines Marzipanschwein! Abends versammelten wir uns alle 14 Mann unter dem Weihnachtsbaum, unter dem schon die Geschenke von der kompletten Verwandtschaft lagen und die Schlacht ums Auspacken konnte beginnen!
Ein anderer sehr wichtiger, wohl der wichtigste Tag, ist der Nationalfeiertag am 17. Mai, bei dem die Unabhängigkeit von Dänemark gefeiert wird. In jedem Ort und jeder Stadt gibt es riesige Umzüge. Alle sind auf den Straßen, schwenken norwegische Fähnchen und Fahnen und singen die Nationalhymne. Für die Kinder ist dieser Tag besonders toll, denn alle dürfen nach der langen Winterzeit mal wieder soviel Eis essen wie sie wollen und können. Ich merkte sogar wie ich selber zu einem Patriot eines Landes wurde, in dem ich nicht einmal selber aufgewachsen bin. Die Gemeinschaft der Norweger wurde wahnsinnig deutlich, wie auch immer, wenn irgendwo etwas passiert ist. Wie als einmal in der Schule ein Mädchen umgekommen ist, wurde sofort die Fahne auf Halbmast gesetzt und die ganze Schule hat getrauert.
Ich würde sofort wieder in dieses wunderbare Land zurückfahren, sei es sogar um mein ganzes Leben dort zu verbringen, denn wer einmal dort war, wird so von Begeisterung mit gerissen, dass man einfach nur weinen könnte, „weil’s so schön ist!“
Aber natürlich habe ich soviel so vielen Menschen zu danken, meiner wunderbaren Gastfamilie, mit der ich super Stunden verbracht habe, all den Menschen dich ich dort getroffen habe, sowohl Norwegern, als auch meinen AFS-Freunden, ohne die das Jahr nicht halb so lustig geworden wäre, und natürlich AFS, die mir das alles erst ermöglicht haben!
TUSEN TAKK FOR ALT!