Portugal 1997/98 – Teil 1

Manuel Kleiner

Vor einem Jahr wäre mir zum Thema Portugal nicht viel eingefallen, vielleicht Sonne, Strände, Meer und große Entdecker, jetzt aber wo ich schon 4 Monate in diesem vielfältigen Land lebe und es von einer anderen Seite, als ein normaler Tourist kennengelernt habe, weiß ich gar nicht wo ich anfangen soll.

Nach der Landung am 5.September in Lissabon wurden wir die AFSer vom Flughafen über die wirklich sehr holprigen und durchlöcherten Straßen (sehr schlecht für den Rücken) gleich zum Survival Camp gebracht, wo die Betreuer, die eine tolle Art von Humor besitzen, versuchten uns innerhalb dieser drei Tage die wichtigsten Sachen über Portugal beizubringen, ein paar Worte der Sprache, die Gewohnheiten der Leute und ganz nett wurden wir auch über den Umgang mit portugiesischem Freund oder portugiesischer Freundin aufgeklärt. Außerdem hatten wir im Camp die Möglichkeit uns (Wir AFSer aller Welt) besser kennenzulernen.

Nunja und dann kam auch schon der Tag der großen Begegnung. Wir waren alle ein bißchen aufgeregt als die ersten Familien so nach und nach erschienen. Und plötzlich war auch meine da in dem ganzen Begrüßungsdurcheinander bekam ich nicht allzuviel mit. Hier begrüßen, da die anderen AFSer verabschieden, die portugiesischen Familien reden alle durcheinander, jeder versucht noch ganz schnell was zu sagen, wobei man viel gestikulieren beobachten kann. Portugiesen gestikulieren unheimlich viel, also die meisten man kann nicht sagen alle.

Jedenfalls saß ich dann irgendwann im Auto meiner Familie und wir fuhren nach Salvaterra de Magos, die kleine 6000 Einwohner Stadt, die 50 km vom Meer und von Lissabon entfernt liegt und auf die ich später wohl noch öfter zu sprechen komme, da ich jetzt schon 4 Monate in ihr lebe.

Mit mir im Auto war noch eine Norwegerin, die ein Jahr zuvor als Gastschülerin in meiner Familie lebte und die jetzt nur zu Besuch da war. Meine Familie hatte schon viel Erfahrung mit AFS-Schülern, da schon 5 bei ihnen gelebt hatten. Das hat vor und Nachteile wie ich später feststellen sollte.

So jetzt aber mal zu meiner Familie, mit der ich in einer Eigentumswohnung im ersten Stock eines der wenigen großen Gebäude der Stadt wohne. Meine Mutter Arminda ist Lehrerin an der Grundschule, von den Kleinen immer gestreßt und deswegen nach der Schule leicht reizbar, aber ansonsten eine nette Person. Sie betätigt sich ab und zu künstlerisch und kümmert sich um den Haushalt Bei diesen Arbeiten beteiligt sich mein Vater Julio nicht im geringsten. Er ist Maschinenmechaniker in einer Hühnerfarm und ab und zu liefert er auch Eier quer durch ganz Portugal aus. Einmal war ich beim Eierausliefern dabei, ein 24 Stunden nonstop Trip über wirklich teilweise üble Straßen, aber dafür habe ich die wunderschönen, vielfältigen Landschaften von halb Portugal gesehen und sogar kurz die Füße ins Meer gehalten. Julio ist fast nie Zuhause eigentlich nur zum Essen und schlafen, denn er trainiert jeden abend seine Fußballmannschaft oder schaut sich mit den anderen im Café ein Fußballspiel an. Er ist „Benefica krank“ und kann schon mal eine Träne vergießen wenn seine Mannschaft „Benefica“ (Lissabonner Fußballmannschaft) ein Spiel verloren hat. Obwohl es nicht sonderlich viele verschiedene Mannschaften gibt sind die meisten Portugiesen große Fußballfans, fast jeder hat eine Mannschaft für die er ist. Im Haus lebt noch teilweise mein großer Bruder Rui (24), der zur Zeit ohne Arbeit ist, aber sonst eine Art Fotograf ist (ein Künstler). Mit ihm hatte ich wirklich Glück, auch wenn er mit Personen manchmal etwas unfreundlich umgeht, er hat mir am Anfang alles erklärt und mich überallhin mitgenommen. Meine Schwester Martha (22), deren altes Zimmer ich alleine bewohne, ist schon verheiratet und hat zusammen mit Simao ihrem Mann ein eigenes Haus.

Die meisten meiner Freunde hier habe ich entweder im Café oder der Schule kennengelernt. Es gibt hier in dieser kleinen Stadt ungelogen mehr als 40 Cafés. Die meisten Portugiesen bringen dort viel Zeit ihres Lebens zu. Im Café trifft man Leute, man redet, kann lesen, fernsehen, schreiben, Schach spielen oder eben Kaffee trinken. Kaffee ist eines der Grundnahrungsmittel der Portugiesen.

manucafeIch trinke inzwischen selbst schon 2 Tassen dieses Espresso ähnlichen Getränks pro Tag. Ich habe mich aber auch schon in anderen Sachen ein bißchen an Portugal angepaßt, ruhiger, geduldiger und spontaner bin ich schon geworden.

Portugiesen gehen alles ruhiger an und machen normalerweise keinen Streß, können manchmal aber bei Diskussionen sehr temperamentvoll werden und wenn’s eilig ist gibt es eine Art von Streß mit dem ich immer noch nicht mithalten kann.

Geduld, ja für Leute ohne Geduld ist Portugal nichts. Man braucht sehr viel Geduld z.B. der Bus kommt nie pünktlich und wenn dann ist das so selten das ihn einige Leute verpassen, weil sie dachten er kommt wie immer zu spät. Hier gibt der Busplan wohl nur an vor welcher Uhrzeit der Bus wohl auf jeden Fall nicht kommt. Der Begriff Zeit ist hier auch sehr dehnbar, wenn es heißt ich komme um neun, dann kann das auch heißen das die Person erst um 10 kommt, also wieder Geduld haben mit dem warten oder so lange was anderes machen. ich meine für mich hat das den Vorteil das ich auch ohne Probleme 15 Minuten zu spät kommen kann und niemand hat ein Problem damit.

Ja und die Spontaneität, es ist wirklich erstaunlich wie schnell man seine alten Pläne über den Haufen werfen kann um z.B. schnell mal die Verwandtschaft im Norden für drei Tage zu besuchen oder man geht ins Café und landet schließlich in Lissabon im Kino. Man kann hier keine richtig festen Pläne machen und nie im voraus genau sagen was man macht, weil bis morgen kann das alles schon wieder das Gegenteil sein. Hier gibt es die nette Mentalität wenn du was morgen noch erledigen kannst, dann mach’s am besten erst übermorgen, aber das heißt nicht das die Portugiesen faul wären sie lassen sich nur mehr Zeit. Die Lehrer in der Schule lassen sich auch mehr Zeit. Die ersten kommen ca. 5 Minuten nach dem Klingeln lustig mit den Kollegen plaudernd angeschlendert und das ist nicht übertrieben, aber es ist sehr gut für uns Schüler, da wir so eine längere Pause haben. Die erste Zeit hatte ich in der Schule das Problem, daß mich viele der jüngeren Mädchen, ob meiner blonden Haare und der blauen Augen, was hier selten ist, immer ziemlich extrem anschauten und furchtbar viel kicherten wenn ich an ihnen vorbeiging, aber inzwischen habe ich mich daran gewöhnt. Meine Fächer hier in der Schule sind Philosophie, Kunst, Kunstgeschichte, Portugiesisch, Englisch, Mathe und Französisch. Ich habe mit der Kunstklasse wirklich Glück gehabt sind alle sehr nett und aufgeschlossen. Mit dem Verständnis in Portugiesisch und Philosophie habe ich noch etwas Probleme, aber die meist jungen Lehrer sind alle sehr nett und hilfsbereit und haben mir in den Ferien sogar Zugang zum Internet verschafft das ich ohne Probleme meine Nachrichten in die Welt hinausschicken konnte.

Portugiesisch kann ich inzwischen ausreichend. Da meine Familie nur Portugiesisch spricht, bis auf Rui, und ich mich nicht sehr gerne in Englisch unterhalte, habe ich schon nach 2 Monaten mit dem Englisch aufgehört. Inzwischen rede ich sogar schon ab und zu mit anderen deutschen AFSern in Portugiesisch.

Ich kann ja jetzt mal versuchen einen normalen Tagesablauf von mir hier zu beschreiben was aber sehr schwer sein dürfte, weil jeder Tag anders ist.

Um 8 aufstehen, Cornflakes frühstücken ( meistens sehe ich dann auch Julio wenn er auf dem Weg zur Arbeit ist, dann heißt es „Bom Dia“) und um halb neun in der Schule sein. Freitag fängt sie für meine Klasse erst um 13:30 Uhr an. Um 13 Uhr herum ist dann Mittagspause, in der ich die 500 m nach Hause laufe zum Mittagessen. Um 14 Uhr herum geht’s dann weiter mit Schule bis 17:30 oder 18:30. Montag und Mittwoch nachmittag habe ich keine Schule und so mache ich Hausaufgaben, gehe ins Café, treffe Freunde, schreibe Briefe, gehe Schwimmen usw. Nach dem Abendessen um 20:00 Uhr (jeder ißt alleine zu abend wann er will) gehe ich noch für 1 oder 2 Stunden ins Café Cabana mein absolutes Lieblingscafé, lauter aufgeschlossene Leute.

So und jetzt noch das Wochenende. Die meisten Wochenenden bin ich unterwegs. Meine Familie ermuntert mich ständig wegzugehen um das Land kennenzulernen, wenn ich frage kann ich vielleicht das machen, dann heißt es mach’s, mußt nur sagen wann du wieder kommst.

manuafserUnd so gehe ich AFSer besuchen, Sachen besichtigen, auf Afs Veranstaltungen, mit Freunden was unternehmen und noch viele andere Sachen, so habe ich inzwischen schon ziemlich viel von Portugal gesehen. Sintara, Lissabon, den Norden, Santarém, Coimbra, Stierkampf (war aber öde und die Stiere taten mir leid), Rio Maior, Obidos, de Naturpark „Gerés“ und Caldas da Rainha.

Mit meiner Familie bin ich aber fast nie unterwegs, da sie fast nie was unternehmen. Samstags vielleicht mal in Lissabon einkaufen oder so, da nehmen sie mich aber normalerweise nicht mit. Wenn ich nicht unterwegs bin ist das Wochenende eher gemütlich schwimmen gehen oder mit Freunden Nachts in eine Bar oder ins Kino (das ist aber 30km von hier entfernt), aber sonst nicht viel. Inzwischen ist ja Winter und da ist es auch hier nichts mit dem sonnigen Süden. Es gefriert zwar nie (im Norden schon), aber es gibt eine sehr unangenehme nasse Kälte hier. Und da alle Gebäude ungeheizt sind sitzen wir auch im Unterricht mit Jacke und ich habe einen Dauerschnupfen. Anfangs des Winters hatten wir ziemlich viele Stromausfälle, was anfänglich ja ganz interessant war aber mit der Zeit nervte es. Kein Fernsehen, Radio, Licht, keine Mikrowelle, kein Kühlschrank mir wurde dann so richtig schön bewußt wie sehr wir gut wir doch eigentlich leben. Inzwischen hat das mit den Stromausfällen aber aufgehört.

Ach jetzt hätte ich doch beinahe das Essen vergessen, was hier sehr wichtig ist, bei fünf Mahlzeiten täglich von denen aber nur 3 richtig ernstgenommen werden. Es wird viel Fisch und Fleisch gegessen, dazu gibt es meist Reis oder Kartoffeln ab und zu auch Pasta. Besonders wichtig in der portugiesischen Küche ist de Bacelhau ein getrockneter Fisch den die Portugiesen auf über 100 verschiedene Arten zubereiten können. Neja ich will ja nicht zu ausführlich werden jedenfalls essen wir oft und viel.

Inzwischen habe ich auch Weihnachten und Neujahr hier erlebt und ich kann sagen es ist wirklich sehr anders als in Deutschland. Als erstes Mal fehlt natürlich der Schnee und die Kälte, desweiteren gibt es keinen Advent so mit Weihnachtsmärkten und so und es gibt am 26. keinen Feiertag.

Die Vorbereitung für Weihnachten fingen, aber schon eine Woche vorher an. Kochen, Plastikweihnachtsbaum aufstellen, Unmengen Kuchen und Süßigkeiten Produzieren und die letzten Geschenke besorgen, wie in Deutschland auch.

Am 24. war dann die ganze Familie im Haus meiner Schwester versammelt und wir haben das traditionelle Gericht Bacelhau, mit Kartoffeln und Kohl gegessen, wobei auch ziemlich viel Wein getrunken wurde und so waren um 24 Uhr wann die Bescherung stattfindet alle sehr lustig. Also Geschenke gibt’s erst um 24 Uhr. Am 25. ging es mit dem ganzen gegessen weiter ein riesiger Truthahn (von dem 1Woche später noch gegessen wurde) war dran. Man ißt hier an Weihnachten so wahnsinnig viel. Sylvester ist nicht sonderlich anders, es gibt zwar normalerweise kein Feuerwerk und um 24 Uhr ißt man 12 Rosinen als Symbol für die 12 vergangenen Monate, aber die Feste, die Parties und der Sekt ist das Gleiche.

Ab und zu überrascht mich das Bild das man von Deutschland hier hat. Ich meine mit den Vorurteilen, daß wir ständig am Bier trinken sind und nur Würste essen läßt sich normalerweise schnell aufräumen, aber was soll ich erwidern wenn jemand der in Deutschland war meint dort gäbe es nur lauter Nazis und ich sei nur ein Ausnahmefall. Inzwischen glauben mir aber die meisten daß die meisten Deutschen nicht sonderlich stolz auf ihre Vergangenheit sind.

Jetzt habe ich noch weitere 6 Monate vor mir (die aber nach Meinung von Rui, der ein Jahr mit Afs in Mexico war, im Flug vergehen werden), in denen ich bestimmt noch vieles neue kennenlernen werde und in denen ich vielleicht auch meine Perspektive noch einmal ändern werde. Langeweile habe ich jedenfalls nie eher zuwenig Zeit alles zu machen was ich will.

Manuel Kleiner Salvaterra de Magos (Computerraum der Schule) 7.1.98

Anmerkung:

Für Rechtschreibfehler kann ich mich nur damit entschuldigen, daß ich inzwischen schon das Schreiben in Deutsch ein bißchen vergessen habe und portugiesische Computer leider keine Deutsche-Rechtschreibpruefung besitzen.

 

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