Manuel Kleiner
Irgendwie wenn ich jetzt im Nachhinein so darüber nachdenke ist mein AFS-jahr doch viel schneller vergangen als ich es im voraus und auch oft während des Jahres dachte. Wenn ich jetzt gerade an Portugal und an meine Familie und meine Freunde dort denke kommt es mir irgendwie ein bisschen so vor als wäre es ein Traum gewesen, nur dass man in einem Traum nicht sovieles verschiedenes, positives und negatives erleben und vor allem keine Sprache lernen kann.
So Anfang des neuen Jahres konnte ich dann endlich richtige Unterhaltungen auf Portugiesisch führen, ich fing sogar an mein Tagebuch auf Portugiesisch zu schreiben und ganz selten träumte ich sogar auf Portugiesisch. Ich kann mich noch an einen solchen Traum erinnern und zwar träumte ich dass ein Freund aus Deutschland bei mir in Portugal zu Besuch wäre, ich redete im Traum die ganze Zeit auf Portugiesisch mit ihm und er war furchtbar verärgert weil er nichts verstand. Nu ja in Wirklichkeit kam mich natürlich kein Freund aus Deutschland besuchen aber ich hatte auch so genügend zu tun.
Eine meiner Hauptbeschäftigungen war natürlich nach wie vor die Schule, in der es so nach und nach besser ging mit dem Verstehen, so das ich am Ende des zweiten Trimesters schon in allen Fächern Noten bekam.
Ich fühlte mich meist sehr wohl in der Schule und verstand mich mit meinen Mitschülern und den Lehrern sehr gut, aber komischerweise fand ich die meisten meiner Freunde ausserhalb der Schule, das lag wahrscheinlich auch daran das die meisten aus meiner Klasse sehr weit von meiner kleinen Stadt entfernt wohnten und wir uns so fast nie treffen konnten. Einige meiner Freunde waren dann aber doch aus der Schule, aber sie waren dort zu einer ganz anderen Tageszeit und zwar abends von 19-23:30 Uhr um das zu erklären muss ich kurz weiter ausholen.
Da es den meisten Familien in Portugal wirtschaftlich nicht so gut geht müssen viele Jugendliche ziemlich früh anfangen zu arbeiten und um aber doch noch zu einem Abschluss zu kommen dann eben in die Abendschule gehen. Jetzt war ich abends oft in der Schule weil mir ein paar sehr nette Lehrer die Möglichkeit verschafft hatten dort das Internet zum kommunizieren mit Deutschland zu benutzen und so lernte ich eben die Schüler der Abendschule kennen von denen einige zu guten Freunden wurden. Wir spielten oft Karten zusammen und unterhielten uns viel.
Wenn ich nicht in der Schule war, war ich meistens im Café oder besuchte Freunde. Das Café ist eine Sache ohne das ich mir Portugal und die Portugiesen einfach nicht vorstellen könnte, in meiner kleinen Stadt gab es nur sehr wenige Leute die nicht zumindest einmal am Tag ins Café gingen. Im Café spielt sich ein großer Teil des Zusammenlebens in Portugal ab.
So ein Café ist Leben (hauptsächlich wohl am Abend), dort trifft man sich, tauscht man sich aus, redet man, ließt die Zeitung, spielt Schach oder man trinkt mal eben einen Kaffee. Das mit dem Kaffee trinken ist aber nicht so eine kleine Angelegenheit wie es scheint für viel ist es ein richtiggehendes Ritual, der Gang zum Café nach dem Mittagessen um schnell noch den Kaffee zu trinken. Ich vermisse den portugiesischen Kaffee sehr und mir gelingt es nicht diesen kleinen Espresso ähnlichen Kaffee mit irgendeiner Kaffee- oder Espressomaschine herzustellen. Irgendwie ist dieser Kaffee die Essenz des Kaffees an sich und man bekommt ihn nur in Portugal. So jetzt aber genug mit der Kaffeephilosophie. Ich hielt mich jedenfalls jeden Tag so durchschnittlich 2 Stunden pro Tag im Café auf.
Die Zeit die ich zuhause verbrachte wurde immer weniger, weil bis auf meine Gastmutter so oder so nie jemand da war, so gab es leider auch nur sehr wenig Familienleben. Ich fing nie an meine Gasteltern Mama oder Papa zu nennen, was viele andere AFSer mit ihren Gasteltern taten, da es mein Gastbruder und meine Gastschwester auch nie taten. Mein Gastvater arbeitete sehr viel und abends und am Wochenende war er mit seiner Fußballmannschaft beschäftigt, meine Gastschwester lebte ja mit ihrem Mann schon außer Hauses und mein Gastbruder mit dem ich mich sehr gut verstand fing im Frühjahr auf der Weltausstellung in Lissabon als Bühnenbeleuchter an zu arbeiten.
Da ich viele Leute über ganz Portugal verstreut kannte, reiste ich noch viel durch dieses fantastische Land. Ich war eigentlich an allen Ecken und Enden Portugals, hoch oben im Norden, wo die Landschaft irgendwie an die schottischen Highlands erinnert und wo ich einmal in einen richtigen Schneesturm geriet und unten im Süden wo sich gelbe, pinienebedeckte Hügel erstrecken so weit das Auge reichte und in denen ab und zu kleine Städtchen wie weise Inseln in einem gelbgrünen Ozean daliegen. Bei diesen Reisen habe ich auch gemerkt das Portugal irgendwie gespalten ist zwischen Norden und Süden. Der Norden ist reich, der Süden arm. Im Norden geht man in die Kirche, im Süden ganz selten oder nie.
Ein Reiseziel hatte ich sehr oft, Lissabon, das nur ca. 50 km von mir entfernt war. Ich bin sehr oft die 2 Stunden mit dem immer verspäteten Bus über die holperigen Straßen nach Lissabon gefahren. Lissabon habe ich irgendwie lieben gelernt, obwohl es keine sonderlich saubere Stadt ist gibt es tausend wunderschöne Orte, verwinkelte Gassen in der arabischen Altstadt, einen gigantischen Trödelmarkt, eine Burg, alte Häusser, den breiten Strom Tejo, man kann es nicht beschreiben man muss selber dort gewesen sein und dieses aufeinandertreffen so vieler verschiedener Kulturen, von alt und neu, von Land und Meer gesehen haben.
Die allerschönste Reise, aber waren zwei Wochen mit dem Rucksack auf den Azoren, die offiziell auch zu Portugal gehören, ein Überbleibsel von dem früher so großen Kolonialbesitz Portugals, auf den die meisten Portugiesen heute noch mit Stolz verweisen. Eine andere AFSerin aus Deutschland und ich besuchten diese grünen und einsamen, Vulkaninseln inmitten des Atlantischen Ozeans, die sich so wahnsinnig von Portugal unterscheiden. Jede einzelne Insel ist irgendwie ein kleines Land für sich, mal ist alles dschungelartig, und man kommt durch das grün kaum hindurch, mal ist es absolut tote Wüste, es gibt Wale, kleine Ortschaften, Strände mit schwarzem Sand, hohe Vulkane, heiße Quellen, grüne und blaue Seen und einfache, offene Menschen.
Die Expo ’98 in Lissabon war eine großartige Sache, wobei die täglichen Sendungen im Fernsehen über die Expo ’98 mit der Zeit auf die Nerven gingen und bei der ganzen Verherrlichung von Portugals Ruhm in der Welt Portugals Armut z.B. die Blechhüttenviertel am Rande Lissabons leichthin übersehen wurden. Jedenfalls war es erstaunlich wie sich das komplette Interesse der Öffentlichkeit auf die Expo richtete, wochenlang war die Expo Gesprächsthema Nummer eins. Ich selbst verbrachte 3 Tage auf der Expo und ich war unheimlich fasziniert davon.